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„Schwimmflügel an und durch“

11. Juni 2016 | Von

Unwetter: Nach den schweren Regenfällen hat das große Aufräumen begonnen / Besonders hart hat es den Weinheimer Ortsteil Heiligkreuz getroffen

Schon wieder hat ein Unwetter im Odenwald und auch an der Bergstraße schwere Schäden angerichtet. Dort, wo sich sonst liebliche Bäche durch die Orte schlängeln, stehen die Menschen nun knöcheltief im Matsch.

Die schmale Straße im Wiesental in Heiligkreuz ist auch am Donnerstagmorgen Idylle. Ein Zicklein ruft auf einer Wiese nach seiner Mutter, zwei Enten watscheln über die Straße, eine Katze rekelt sich in der Sonne. Nichts lässt auf den ersten Blick das Drama vermuten, das sich hier am Vorabend abgespielt hat. Fast nichts, wäre da nicht der Apfelbach oder „die Bach“, wie er hier liebevoll genannt wird. Seine Quelle entspringt in den Wiesen oberhalb von Rippenweier, normalerweise windet er sich lieblich durch das kleine Dorf. Doch an diesem Morgen ist „die Bach“ ein reißender Strom, der sein Bett nicht nur verlassen, sondern an einigen Stellen komplett verändert hat. Außer Rand und Band rauscht das Wasser, umspült abgerissene Äste und ganze Bäume, drängelt sich schäumend vorbei an dicken Felsen, die gestern noch an ganz anderen Stellen lagen. Heike Reinhard-Frank hat dafür nur ein müdes Lächeln übrig: „Das ist nichts, das hätten Sie mal gestern Abend sehen sollen“, winkt sie ab und steht dabei knöcheltief im Schlamm. Dort, wo gestern noch ein Gemüsegarten war, hinter dem Haus ihrer Mutter Renate. Dort, wo am Mittwochabend gegen 19 Uhr „die Bach“ tosend über die Mauer getreten ist, den Garten vollständig überspült hat. Dort wo das Wasser sich innerhalb von Sekunden einen Weg ins Haus gesucht hat. Dort wo so viel Matsch und Schlamm ist, dass man gar nicht weiß, wo man mit dem Aufräumen anfangen soll.

Trotzdem herrscht geschäftiges Treiben, weil überall Menschen sind, die es einfach anpacken – das große Aufräumen. Wasser abpumpen, mit Eimer und Lappen irgendwie die untere Etage des Hauses wieder trocken legen. Dort, wo „alles gar nicht mehr so schlimm ist“, wie Heike Reinhard-Frank sagt. Aber es ist schlimm. Ein paar Deko-stücke hat jemand auf einem Gartentisch abgelegt.

Straßen gesperrt

Doch auch an anderen Orten rund um Weinheim hat es Verwüstungen gegeben. In einer Pressemitteilung der Polizei klingt das ganz nüchtern so: „Nach heftigem Starkregen in den Abendstunden im Bereich des Polizeipräsidiums Mannheim kam es hauptsächlich im Bereich Neckarbischofsheim, Weinheim, Hemsbach, Helmstadt, Sinsheim, Schriesheim und der jeweiligen Umgebung zu diversen Schadensereignissen, welche Polizei und Feuerwehr auf den Plan riefen. Wegen Überflutungen, über die Ufer getretener Bachläufe und kleineren Erdrutschen mussten teilweise Straßen gesperrt werden.“

UnwetterDas Wasser drückte in die Keller, Gullydeckel wurden herausgespült, beispielsweise mitten in Weinheim vor der Woinemer Hausbrauerei, machten dem Wasser den Weg auf die Straßen frei. Verletzt wurde zum Glück niemand. Der entstandene Sachschaden lasse sich bislang noch nicht beziffern, schreibt die Polizei. Was sich nicht mit Geld aufwiegen lässt, sind die Helfer der Freiwilligen Feuerwehr. Müde und erschöpft sind einen Tag später auch diese. Die Wassermassen des Apfelbaches hatten sich ihren Weg vom Odenwald talwärts gebahnt. Dann verstopfte Geröll den Einlauf des Apfelbaches in die Verdolung in Großsachsen – ein kräftezehrender Einsatz für die Hirschberger Feuerwehrleute. In Weinheim bilanziert die Feuerwehr einen Tag später: 75 Einsätze, vollgelaufene Keller, abgerutschte Hänge, überflutete Häuser. Hauptsächlich traf es die Nordstadt, Teile der Innenstadt, Oberflockenbach und Rippenweier.

Dramatisch: „In der Brunhildstraße rutsche ein Hang ab und versuchte sich in Häuser zu drücken“, schreibt die Feuerwehr in einer Pressemitteilung. Sogar die Feuerwehr selbst war betroffen: In Ritsch-weier flutete eine Wasser-Schlammlawine das dortige Gerätehaus. Bis um 24 Uhr waren insgesamt 102 Einsatzkräfte aller Weinheimer Feuerwehrabteilungen im Einsatz, um das Unwetterchaos zu beseitigen.

Gleich 37 Einsätze verzeichnete die Feuerwehr in Birkenau. Am schlimmsten traf es Nieder-Liebersbach, sonst war vor allem die Kerngemeinde betroffen. Insgesamt waren unter der Leitung des stellvertretenden Gemeindebrandinspektors Dennis Kessler 98 Einsatzkräfte in 17 Fahrzeugen in der Großgemeinde unterwegs.

In Heiligkreuz sind die Betroffene aber auch eins: Unendlich dankbar. „Ich hab gestern die ganze Zeit gedacht, es ist einfach toll, auf dem Dorf zu wohnen. Du stehst nicht alleine da. Die ganze Nachbarschaft hat geholfen. Da sind auch Menschen gekommen, die wir gar nicht kennen. Haben Eimerketten organisiert, um irgendwie das Wasser wegzukriegen. Und wir wussten ja gar nicht wohin damit, es war ja überall.“

Wasser bis zur Kellerdecke

Wie schafft sie es, so gelassen zu bleiben? „Schwimmflügel an und durch“, sagt Reinhard-Frank. Auch Klaus und Andrea Wetzel im Nachbarhaus sind beeindruckend gefasst. Ihr Keller stand am Vorabend bis zur Decke unter Wasser, die Eingangstreppe des wunderschönen, alten Häuschens war überspült. „Mein Man hat es gerade noch geschafft, mein Auto wegzufahren“, sagt Andrea Wetzel, das Wasser stand schon bis zur Scheibe. Auch diesen beiden ist es an jenem Morgen aber vor allem ein Bedürfnis, danke zu sagen. „Was die Feuerwehr hier gestern geleistet hat, war der Wahnsinn. Bis nachts haben die uns geholfen“, sagt Klaus Wetzel.

Die Schäden, die hier entstanden sind, sind noch gar nicht absehbar. Es ist ein altes Haus, im Keller ist Lehmboden. Die Heizung stand vollständig unter Wasser. Das erklärt den durchdringenden Geruch nach Heizöl. Strom haben die beiden auch nicht. Wie lange dieser Zustand dauert, wissen sie noch nicht.

Wolfgang Ernst wohnt im letzten Haus in der Odenwaldstraße in Heiligkreuz. Er und seine Frau sind immer noch fassungslos. „Natürlich hatten wir schon mal ordentlich Wasser im Bach, aber sowas gab es hier in den vergangenen 50 Jahren nicht“.

Ernst sieht müde aus, schaut auf das reißende Wasser, kopfschüttelnd: „Und am Wochenende, da soll es schon wieder regnen.“

Quelle: Weinheimer Nachrichten vom 10.06.2016