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Das Leiden der Kameradschaft

27. Mai 2020 | Von

Feuerwehr in einem besonderen Jahr

(cs). Während sich Länder und Städte auf eine „neue Normalität“ einstellen, Einschränkungen   fallen   und   Lockerungen etliches wieder   ermöglichen, steht bei der Freiwilligen Feuerwehr   Weinheim   weiterhin   alles still.

Normalbetrieb 2020? „Schwierig“, kommentiert es ihr stellvertretender Kommandant Ralf Mittelbach. Er meint damit nicht nur die momentane Situation, sondern auch die kommenden Monate.  Und statt „schwierig“ könnte er – bei geltender Empfehlungslage – im Grunde auch „unmöglich“ sagen. Nach den Rückgängen gemeldeter Infektionen war die Reproduktionszahl die Größe, auf die die Politik schielte, ehe sie Locke-rungen einging. Die Reproduktionszahl besagt, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt.  Das Robert-Koch-Institut hat sie am vergangenen Samstag bezogen auf die gesamte Bundesrepublik mit 0,83 angegeben. Nach der    Reproduktionszahl    richtet sich auch der deutsche Feuerwehrverband    in    seinen    Empfehlungen an die einzelnen Wehren. Ein Wert von 0,83 heißt hier quasi:  Stillstand – es verändert sich nichts.  „Bei einem Wert von 0,5 bis 0,3 dürften wir begrenzt Übungen in Kleingruppen durchführen“, erklärt Ralf Mittelbach.  Der Normalbetrieb könnte erst aufgenommen wer-den, wenn der Wert bei 0,1 liegt. Mittelbach wird deutlich: „Wenn da nicht nachgebessert wird, ist das ein absoluter Dolchstoß.“ Er hat dabei vor allem die Nachwuchsarbeit im Blick, auf die die Feuerwehr vor dem Hinter-grund  sinkender  Mitglieder  in  der  Einsatzabteilung  angewiesen ist; befürchtet ihre Abwanderung,  wenn  Eltern  sie  nun  zu  Sportvereinen  schicken,  die  teils  wieder  ins  Training  ein-steigen und die Kinder da Spaß entwickeln.   Vielleicht   kämen   sie dann gar nicht erst oder, so Mittelbach.  Für die Einsatzbereitschaft   der   aktiven   Mannschaft indes spielten die fehlen-den Übungsabende keine Rolle: „Es gibt den Einsatzdienst ohne Wenn und Aber.“ Nur anders.

Ralf Mittelbach ist stellvertretender Kommandant der Weinheimer Feuerwehr. Er sieht Positives wie Negatives in der momentanen Situation.

Akzeptanz sinkt

Hauptamt und Ehrenamt haben im Feuerwehrzentrum getrennte Bereiche, sie fahren getrennt zum Einsatzort, im Wagen sitzen weniger Helfer – und die, die dort sitzen, tragen schon  während  der  Fahrt  Mund-Nasen-Bedeckung.  „Das kennen wir aus   Zeiten   der   Vogelgrippe, ganz neu ist das also nicht“, sagt Ralf Mittelbach. Doch anders als damals, als der Schutz in Einzel-fällen aufgesetzt werden musste, ist er jetzt Standard.  Nicht unbedingt    angenehm, wenn    schnell gearbeitet werden muss, teils unter körperlich fordern-den Bedingungen. All das dient nur einem Ziel: handlungsfähig bleiben. Wenn es zu Infektionen käme und etliche Feuerwehrangehörige in Quarantäne müssten, „dann können wir die Feuerwehr abmelden“.  Zumindest nach dem, was auf dem Papier steht. Das ist bisher blanke Theorie, bekannte Infektionen in den   Reihen   der   Mannschaft   gab   und   gibt   es   keine.   Sollten sie auftauchen, müsste das Gesundheitsamt letztlich  über  die Quarantäne entscheiden. So weit will es Mittelbach gar nicht kommen lassen. Doch in Anbetracht immer weiter fallender Beschränkungen und durchgeführter Bundesligaspiele sinkt  die Akzeptanz für die Maßnahmen.  Mittelbach versteht das, hält die Vorsichtsmaßnahmen dennoch weiter für notwendig.

Ausbildungen abgesagt

Derweil leidet die Ausbildung.  Die Feuerwehrschule in Bruchsal ist geschlossen, Ausbildungen für Haupt- wie Ehrenamtliche liegen auf Eis.  Teils gibt es Webinare – aber nicht  in  dem  Umfang, wie es sein müsste. Oft bestünden zudem 75 Prozent des Stoffs aus Praxis. „Das kann man nicht am PC machen“, verdeutlicht Ralf Mittelbach. Wann es in Bruchsal weitergeht, weiß er nicht.  Oder wie.  Man warte auf Rückmeldung. Auch das eigene   Ausbildungsprogramm   ist gestoppt. Türöffnungen, Rettungen aus der OEG – alle Trainings   mussten   abgesagt   wer-den.  Den Umstieg auf Onlineseminare    beschreibt    Mittelbach als schwierig: „Wir haben dafür keine Infrastruktur.“ Und dann müsste man, wenn man es  anbietet,  auch  ein  gewisses  Niveau bieten – das kostet Geld. Das ist knapp. Und dann gibt es noch einen ganz anderen Grund, den Mittelbach nennt: „Wir sind keine Theoretiker. Wir leben von der Gemeinschaft.“ Die ist der-zeit nur gefühlt möglich. Nicht im Zusammensein.

Einsatzzahlen rückläufig

Dem diffizilen Szenario kann Ralf Mittelbach dann aber doch etwas    Positives    abgewinnen.    2020 ist das Jahr, in dem die Ein-sätze einen deutlichen Rückgang verzeichnen.   Zum   einen   fallen die Helfer-vor-Ort-Einsätze weg – der Dienst  ist  wegen  Ansteckungsgefahr  ausgesetzt.  Zum anderen gibt es keine Veranstaltungen und damit auch keine Brandsicherheitswachen.  Allein die schätzt Mittelbach auf ca. 150 im Jahr. Er verzeichnet außerdem weniger Türöffnungen wie auch weniger Fehlalarme durch anschlagende Feuermelder. „Ob das eine Auswirkung von Corona ist, weil die  Menschen mehr zu Hause sind oder  auch  verstärkt  nach  dem  anderen schauen, lässt sich noch nicht   sagen.“   Normalerweise, sagt der stellvertretende Kommandant, hätte man zwischen 35 und 40 Einsätzen im Monat. Ich stand Montagabend sind es 202 für das gesamte Jahr. Eine deutliche Entlastung zu vorangegangenen Jahren, in denen die Einsatzzahlen immer weiter gestiegen waren. „Das können wir auf Dauer gar nicht fahren“, ist Ralf Mittelbach überzeugt. Daher sei der Corona-Effekt für die Feuerwehr   grundsätzlich   positiv.   Damit meint er wiederum nur die Einsatzzahlen.  Die Kameradschaft indes – sie leidet, weil sie nicht gelebt werden darf.

Quelle: Weinheimer Woche vom 27.05.2020/ CS