Um Ihnen ein bestmögliches Nutzererlebnis auf unserer Website zu ermöglichen, verwenden wir Cookies. Mit der Nutzung unseres Angebotes erklären Sie sich damit einverstanden. Weitere Informationen dazu finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

„Jetzt muss wieder Ruhe einkehren“

20. Januar 2009 | Von

In den Fuhrpark der Freiwilligen Feuerwehr Weinheim müssen bis 2016 rund 2,7 Millionen Euro investiert werden. Das ergab eine Strukturuntersuchung aller Abteilungen. Die externe Untersuchung der Freiwilligen Feuerwehr Weinheim ist abgeschlossen. Stadtbrandmeister Reinhold Albrecht erläutert die wichtigsten Ergebnisse und blickt in die Zukunft der Wehr.

 

Herr Albrecht, die Strukturuntersuchung wurde vom Gemeinderat fast einstimmig verabschiedet. Sind sie zufrieden?

ReinholdAlbrecht: Auf jeden Fall. Mit dem Ergebnis erhält die Feuerwehr Planungssicherheit bis 2016. Aber es war eine schwere Geburt.

 

Warum wurde die Feuerwehr von einer externen Wirtschaftsberatung untersucht?

Albrecht: Mit dem von der Feuerwehr Weinheim selbst erstellten Feuerwehrkonzept 2004 war geplant, mittel- bis langfristig die Unterbringung der Feuerwehrabteilungen Rippenweier, Ritschweier und Oberflockenbach an einem gemeinsamen Standort zu realisieren. Darüber gab es heftige Diskussionen in den Ortsverwaltungen. Parallel dazu hat unser Feuerwehrdezernent und Erster Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner eine Wirtschaftlichkeitsberechnung durchgeführt. Ihr Ergebnis und die unterschiedlichen Auffassungen in den Ortsverwaltungen hat Oberbürgermeister Heiner Bernhard im Dezember 2006 zu einer Grundsatzentscheidung durch einen externen Gutachter bewogen.

 

Warum wurde die Firma Forplan aus Bonn damit beauftragt?

Albrecht: Es wurden deutschlandweit fünf Firmen angefragt. Drei Angebote wurden abgegeben. Am günstigsten war die Firma Forplan in Bonn. Gutachter Dr. Holger De Fries nahm im Mai 2007 seine Arbeit auf, das Ergebnis sollte im Entwurf im Oktober 2007 vorliegen. Das klappte nicht.

 

Warum?

Albrecht: Eine Strukturkommission mit Ortsvorstehern, Abteilungskommandanten, Personalamt und einem Vertreter der Werkfeuerwehr Freudenberg sollte die Arbeit des Gutachters begleiten und unterstützen. Eine Menge Daten waren zu erheben. Leider haben in der Anfangsphase nicht alle Beteiligten kooperativ zusammengearbeitet. Die Angst, althergebrachte Strukturen zu zerschlagen, war groß.

 

Wie war die Vorgehensweise einer solch komplexen Untersuchung?

Albrecht: Zunächst wurde in einer Gefährdungsanalyse des Stadtgebietes mit Ortsteilen das Gefahrenpotenzial erörtert. Krankenhäuser, Pflegeheime und chemische Betriebe erhöhen das Potenzial der Stadt gegenüber den Ortsteilen. Daten der Feuerwehr in Bezug auf Einsätze, Personal und Fahrzeuge wurden zwischen 1. Januar 1997 und 25. August 2008 untersucht. Es wurde unterschieden nach Einsätzen bei Bränden und Verkehrsunfällen, und wie viele Feuerwehrleute nach zehn Minuten die Einsatzstelle erreichen.

 

Wie hat Weinheim abgeschnitten?

Albrecht: Es gibt zwei Methoden. Die Methode der Arbeitsgemeinschaft der Berufsfeuerwehren besagt, dass zehn Feuerwehrangehörige innerhalb von acht Minuten an der Einsatzstelle sein müssen; die Methode des Landesfeuerwehrverbandes Baden-Württemberg schreibt fest, dass neun Feuerwehrangehörige innerhalb von zehn Minuten an der Einsatzstelle sein müssen. Die Untersuchung stellte fest, dass der sogenannte Schutzzielerfüllungsgrad in Weinheim bei 37,2 Prozent liegt.

 

Kein gutes Ergebnis, oder?

Albrecht: Nein, so kann man das nicht sagen. Bei einer freiwilligen Feuerwehr überrascht dieses Ergebnis nicht. Bei einer Vielzahl von Kleineinsätzen, die zwar schutzzielrelevant sind, rücken wir im ersten Fahrzeug nur mit vier Feuerwehrangehörigen aus. Das schlägt sich aufs Ergebnis nieder. Die Bevölkerung kann sich auf unsere Feuerwehr zu 100 Prozent verlassen. Wir halten unsere Zeiten ein.

 

Der Untersuchungsbericht umfasst 260 Seiten. Was wurde weiter untersucht?

Albrecht: Die Zusammenlegung der Abteilungen im Odenwald und die Zusammenlegung der Abteilung Stadt mit der Abteilung Sulzbach am gemeinsamen Standort Feuerwehrzentrum.

 

Was kam heraus?

Albrecht: Einsatzverfügbarkeit und Topografie raten zum jetzigen Zeitpunkt im Odenwald nicht zur Zusammenlegung. Ein Mitgliederschwund von 30 Prozent würde bei einer Zusammenlegung die Lage noch deutlich verschlechtern. Aus diesem Grund wurde für den Neubau des Feuerwehrstützpunktes in Oberflockenbach eine kleine Lösung mit dem Bau für die Feuerwehrabteilung Oberflockenbach gefunden. Auch eine Zusammenlegung der Abteilung Sulzbach mit der Abteilung Stadt bringt momentan keine Verbesserung. Im Gegenteil: die Anfahrt aus Sulzbach würde alles um zwei Prozent drücken.

 

Wie sieht es mit dem Fuhrpark der Wehr aus?

Albrecht: Der Fahrzeugbestand wurde bereits in den letzten zehn Jahren reduziert. Sieben Fahrzeuge wurden ersatzlos ausgemustert. Die Nutzungsdauer von 17 Fahrzeugen ist deutlich überschritten. Ersatzbeschaffungen bis 2016 erfordern ein Finanzvolumen von 2,7 Millionen Euro, davon alleine 700000 Euro für die Drehleiter der Abteilung Stadt.

 

Der Gemeinderat beriet auch über Personalfragen. Können sie sich hierzu öffentlich äußern?

Albrecht: Das Personal wurde hinsichtlich Ausbildung, Verfügbarkeit am Tag und in der Nacht, Entfernung vom Wohnort zu den Feuerwehrgerätehäusern, Entfernung von der Arbeitsstelle zum Gerätehaus geprüft. Der Gutachter stellte fest, dass es ein Defizit von 41 Feuerwehrangehörigen innerhalb der Feuerwehr Weinheim gibt.

 

Das ist nicht wenig.

Albrecht: Der Personalbestand beträgt zurzeit 316 Feuerwehrangehörige. Allerdings leisten nur 274 Personen tatsächlich Feuerwehr- und Einsatzdienst. Ein weiteres Personaldefizit im Bereich der Atemschutzgeräteträger ist im Ortsteil Ritschweier festzustellen. Die beim Führungsseminar 2007 vorgestellte Aktion „Frauen an den Brandherd“ zeigt wenig Erfolg, ebenfalls wenig bringt die Gewinnung von Feuerwehrangehörigen mit Migrationshintergrund oder ausländischen Mitbürgern. Wir müssen noch stärker auf Jugendarbeit bauen. Bereits die Einführung der Kinderfeuerwehr ab sechs Jahren im Ortsteil Sulzbach wird mittel- bis langfristig Früchte tragen. Voraussetzung ist, dass für die Jugendarbeit langfristig Betreuungspersonal bereit steht.

 

Ein weiterer Diskussionspunkt im Gemeinderat und auch bei der Feuerwehr war, die Stelle des Kommandanten hauptamtlich zu besetzen. Wie kam es dazu?

Albrecht: Weinheims Feuerwehr wird ehrenamtlich geleitet. Der Gutachter empfiehlt, entsprechend des Städtetages in Städten zwischen 20000 und 100000 Einwohnern einen hauptamtlichen Feuerwehrleiter einzusetzen. Der Feuerwehrausschuss stimmte am 22. Juli dafür, ab diesem Januar den Leiter der Feuerwehr hauptamtlich zu bestellen. Es ging jedoch nicht um die Person Albrecht, sondern um die hauptamtliche Stelle.

 

Das Gutachten empfiehlt die kleine Lösung mit einem Feuerwehrgerätehaus nur für Oberflockenbach. Gab es weitere Anforderungen hinsichtlich der Bausubstanz der Feuerwehrstützpunkte?

Albrecht: Aufgrund der Baumaßnahme in Oberflockenbach hat sich das Problem erledigt. In Rippenweier und Ritschweier empfiehlt der Gutachter den Einbau einer Abgasabsauganlage. Die erforderlichen Haushaltsmittel hierfür sind bereits im Haushaltplan 2009 und 2010 veranschlagt. In der Feuerwache Süd ist das Dach undicht. Über der Fahrzeughalle muss das Flachdach aufwändig saniert werden. Die Abteilung schlägt den Bau eines Dachgeschosses mit zwei Dienstwohnungen vor. Diese Maßnahme ist jedoch nicht dringend.

 

Bei der Hauptversammlung am 13. November wurde erstmals ein Vertreter des Stadtbrandmeisters, der nicht aus der Abteilung Stadt kommt, gewählt. Gibt es Gründe?

Albrecht: Die Aussage ist so nicht richtig. Bereits von 1990 bis 1998 war Bernd Dittes von der damaligen Abteilung Lützelsachsen Stellvertreter von Hermann Franzmann. Franz Kain von der Abteilung Sulzbach übte die Funktion des stellvertretenden Kommandanten von 1998 bis 2000 aus. Richtig ist, dass mit Volker Jäger erstmals ein Vertreter der Odenwaldfeuerwehren Rippenweier, Ritschweier und Oberflockenbach zum stellvertretenden Kommandanten gewählt wurde. Volker Jäger setzte sich mit 107 Stimmen deutlich von seinem Mitbewerber Patrick Müller aus der Abteilung Stadt ab, der nur 45 Stimmen erhielt. Das zeigt deutlich den Zusammenhalt der Wehren untereinander.

 

Wollte Rolf Tilger nicht weitermachen?

Albrecht: Ich hätte auch gerne eine weitere Periode mit meinem bisherigen Stellvertreter weitergemacht. Aber sein Entschluss stand schon im Vorfeld fest, dass er unter einem hauptamtlichen Kommandanten nicht mehr kandidieren würde.

 

Wie geht es nun konkret weiter?

Albrecht: Wir haben Hausaufgaben und Ziele. Nach den Turbulenzen der letzten Monate muss wieder Ruhe einkehren. Die Abteilungskommandanten haben ihre Aufgaben erhalten. Neben den im Gutachten geforderten Maßnahmen, die umzusetzen sind, steht in diesem Jahr die Änderung der Satzung sowie die Überarbeitung der Entschädigungssatzung an. Im Bereich der Ausbildung haben wir konkrete Pläne: im Juni wird für zehn Tage ein Übungscontainer der Berufsfeuerwehr Darmstadt bei uns stehen. In ihm können Gefahrgut- und Umweltschutzeinsätze geübt werden. Auch die Kameraden aus Viernheim, Birkenau und Gorxheimertal üben dann mit, ebenso die Werkfeuerwehren Freudenberg und Naturin. Im September wird zehn Tage lang im Brandcontainer geübt. dra/zg

 

Artikel Weinheim Nachrichten vom: 21.01.2009