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„Es wäre sicherlich ein Verlust mit Folgen“

28. August 2010 | Von
Was passiert ohne den Zivildienst?

Was passiert ohne den Zivildienst?Ersatzdienst: Bundesregierung stellt die Wehrpflicht in Frage, womit auch der Zivildienst auf der Kippe steht / Auswirkungen einer eventuellen Abschaffung auf soziale EinrichtungenDer gesetzliche Wehrdienst scheint ein Auslaufmodell zu sein. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht ohnehin aussetzen, auch FDP-Vizekanzler Guido Westerwelle sähe sie gerne abgeschafft. Auch die jungen Männer wollen nicht mehr so recht. Im Jahr 2009 wurden etwa 226 000, etwas mehr als die Hälfte der Gemusterten, für tauglich befunden. Im selben Jahr lagen 152 000 Anträge zur Kriegsdienstverweigerung vor. Die Zahl derjenigen, die einberufen wurden, beläuft sich auf 68 000. Das ist gerade mal ein Drittel aller Tauglichen und weniger als 16 Prozent des männlichen Jahrgangs, so die Zahlen des Verteidigungsministeriums.

Wenn also nur noch jeder Sechste den Dienst an der Waffe leistet, sind die Überlegungen, die Wehrpflicht zu reformieren, begründet. Wenn aber die Wehrpflicht abgeschafft wird, geht das mit der Abschaffung des Zivildienstes einher. Diesen Monat sind es 49 000 junge Männer, die sich als Zivis sozial engagieren. Sie findet man in erster Linie dort, wo Menschen geholfen wird. Bei Diakonie und Caritas, in Kindergärten und Krankenhäusern. Die Weinheimer Nachrichten haben bei verschiedenen sozialen Einrichtungen in der Region nachgefragt, inwieweit der bleibende Wegfall dieser Stellen ernsthaft schmerzlich, oder aber problemlos verschmerzbar wäre. Preise wären nicht haltbar! Beim Bodelschwingh-Heim in Weinheim hat man ernsthafte Bedenken. „Wir beschäftigen zurzeit sechs Zivildienstleistende in ambulanter sowie vollstationärer Tätigkeit. Würden sie wegfallen, wären günstige Preise bei Betreuung und Essen auf Rädern nicht haltbar“, sagt Verwaltungsleiterin Margit Kannegießer. „Diese Entwicklung wäre sehr schade.“

 

Bei der Caritas-Station in Weinheim hat Silvia Daumel wenig Bedenken. „Wir haben, seit wir keinen ambulanten Dienst mehr haben, nur noch eine Stelle. Die ließe sich auch durch einen 1,50-Euro-Jobber vom Arbeitsamt ausfüllen.“ Die kirchliche Sozialstation Schriesheim hat gar keine Zivis mehr im Einsatz. „Vor zwei Jahren hatten wir den letzten bei uns. Es können auch viele der Aufgaben, die wir haben, gar nicht von Zivildienstleistenden übernommen werden“, sagt Hartmut Röger. „Wir von der Diakonie-Hemsbach würden unsere Zivis nicht missen wollen“, sagt die Verwaltungsleiterin Florence Hechler. „Es wäre sicherlich ein Verlust, der Folgen, besonders bei den Preisen, nach sich ziehen würde.“

Zivis sind nicht unproblematisch! Bei den GRN-Gesundheitszentren Rhein-Neckar, zu denen auch das Krankenhaus in Weinheim gehört, werden derzeit 56 Zivis beschäftigt. „Sie sind uns eine wertvolle Unterstützung für unsere Arbeit“, sagt Geschäftsführer Rüdiger Burger. „Allerdings ist die jetzige Dauer des Zivildienstes von sechs Monaten etwas problematisch. Zugespitzt formuliert: Kaum sind die jungen Männer eingearbeitet, müssen sie schon wieder gehen.“ Außerdem gibt es immer wieder Besetzungslücken, da die Dienstzeit der Zivis endet, bevor der neue Jahrgang nachrückt. Besser sei die Situation mit denjenigen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvieren. Eine größere Kontinuität sei gegeben, ebenso sei häufig die Motivation größer.

 

Ähnlich sieht es auch Christine von Blum von der Arbeiterwohlfahrt Rhein-Neckar in Ladenburg. „Die Zivis haben bei uns unterschiedlichste Aufgaben, die nach Einarbeitung verlangen. Kombiniert mit der Verkürzung der Dienstzeit lassen sie sich nicht mehr so effektiv einsetzen wie früher.“ Andere Formen des Ersatzdienstes! Neben dem klassischen Zivildienst gibt es noch andere Äquivalente zum Dienst an der Waffe. Eines davon ist „Kulturweit“, der Freiwilligendienst des Auswärtigen Amts. Grundsätzlich als FSJ, also unabhängig von der Wehrpflicht, angeboten, wird die Teilnahme als Ersatzdienst anerkannt. Die Möglichkeit, statt des zumeist in der Region geleisteten Zivildiensts ein Jahr im Ausland deutsche Kultur zu vermitteln, ist verlockend. Wenn der Zivildienst wegfällt, sei das aber keine Gefahr für das „Kulturweit“-Programm, sagt Pressesprecher Tobias Kettner. „Wir haben sowieso mehr Bewerbungen als Plätze. Zudem ist nur ein Drittel der Teilnehmer männlichen Geschlechts, von denen wiederum nur bei einem Teil die Wehrpflicht im Nacken sitzt.“

 

Eine andere Möglichkeit ist der Katastrophenschutz. Dabei verpflichtet man sich für mehrere Jahre, im Krisenfall auszuhelfen. Das ist besonders für diejenigen interessant, die durch eine Einberufung Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. „Das machen heute nur noch die allerwenigsten“, sagt der Weinheimer Stadtbrandmeister Reinhold Albrecht. „17 Menschen aus Weinheim haben sich verpflichtet. Sollten keine Katastrophenschützer nachkommen, wäre das für die Feuerwehr Weinheim nicht problematisch. Wir haben genügend Nachwuchs. Katastrophenschutz war ein großes Thema vor vielleicht 20 Jahren.“Die Mannheimer Feuerwehr spricht hingegen von einer ernstzunehmenden „Lücke“, die die Katastrophenschützer im Fall der Abschaffung hinterließen. Für den Fall, dass die Wehrpflicht ausgesetzt werde sollte, werden bereits Alternativen diskutiert. Zivildienst für alle?

 

Von CDU-Ministerpräsident Roland Koch sowie seinem Amts- und Parteikollegen Peter Müller aus dem Saarland wurde die Forderung nach einem für alle verbindlichen sozialem Jahr laut. Das würde allerdings nach der jetzigen Gesetzeslage unter Zwangsarbeit fallen.

 

Artikel Weinheimer Nachrichten vom 28.08.2010 Christoph Lauer