Ein paar Stunden Schlaf müssen reichen
3. Februar 2010 | Von Feuerwehr Weinheim
Helfer auf Haiti: Der Weinheimer Bernd Guthier am Fluss Momance in der Stadt Leogane bei einer Wasserprobenentnahme. Seit zwei Wochen baut er im vom Erdbeben zerstörten Land als THW-Helfer Camps auf, um die Lage allmählich in den Griff zu kriegen. Guthier im Gespräch mit den Weinheimer Nachrichten. Der Weinheimer THW-Helfer Bernd Guthier berichtet von einer langen Anreise, seinem Hilfseinsatz und den schwierigen Verhältnissen auf Haiti.
Haiti, der zerstörte Inselstaat, sorgt noch immer angesichts der Katastrophe, die das Erdbeben mit der Stärke von 7,0 und weitere Nachbeben ausgelöst haben, für Schlagzeilen. Der Weinheimer Bernd Guthier ist als THW-Helfer bereits seit zwei Wochen vor Ort, um beim Wiederaufbau zu helfen. Was der verheiratete Vater von zwei Kindern, der normalerweise als technischer Sachbearbeiter im Bereich Planung von großen Wasserpumpstationen bei ABB in Mannheim beschäftigt ist, auf Haiti erlebt, hat er im nachfolgenden Gespräch WN-Redakteur Jürgen Drawitsch geschildert:
Wann haben Sie von Ihrem Einsatz erfahren?
Bernd Guthier: Grundsätzlich habe ich mich für solche Einsätze gemeldet und verpflichtet, innerhalb von sechs Stunden am Flughafen abflugbereit zu sein. Meine persönliche Ausrüstung ist immer gepackt und wird nur, je nach Einsatzort, ergänzt.
Und wann klingelte das Telefon?
Guthier: Die erste Anforderung bekam ich am Tag nach dem Beben (Anmerkung der Redaktion: 14. Januar). Leider dauerte es noch bis Freitag bis die Vorbereitungen wie Flüge, Einsatzort und Aufgaben klar waren. So konnte ich mich intensiv vorbereiten und auch berufliche Aufgaben übergeben.
Sind Sie speziell für solche Katastropheneinsätze ausgebildet?
Guthier: Seit über 20 Jahren bin ich ehrenamtlicher Helfer im THW und habe viele Lehrgänge besucht. Dabei wurde mir speziell die Ausbildung zum Logistik-, Koordinations- und Kommunikations-Experten zuteil. Zusätzlich wurde ich vom Civil Protection Mechanism der EU für Auslandeinsätze ausgebildet. Hier erweiterte ich mein Wissen gerade im Bereich der internationale Zusammenarbeit.
Wie waren Ihre ersten Eindrücke?
Guthier: Ich musste zunächst mit einem Team aus Schweden, Finnen, Esten, Dänen und Norwegern ein Basis-Camp für die Vereinten Nationen (UN) aufbauen. Mit mir reisten vier THW-Helfer, die zur Unterstützung der deutschen Botschaft vorgesehen waren. Am Samstag, dem 16. Januar, ging es nach Stockholm, von dort aus mit einem Mietwagen nach Örebro, wo eine gecharterte Maschine bereitstand und wir das restliche Team trafen. Am Sonntagmorgen ging es dann über Island und Kanada nach Santo Domingo. Dort verpassten wir leider um zehn Minuten unseren Anschluss.
Und dann?
Guthier: In Port au Prince mussten wir zwei Tage am Flughafen warten, um dann mit kleiner Maschine nachts nach Haiti zu fliegen. Auf dem Flughafen gab es nachts eine Ausgangssperre. Wir verbrachten die Nacht direkt neben laufenden Maschinen. Die durften ihre Triebwerke nicht abstellen, weil sie keine Startvorrichtung hatten. Der Flughafen stand voll mit Hilfsgüter und es waren auffällig viele Soldaten und Flugzeuge der US-Streitkräfte zu sehen.
Sie waren also schon gestresst, ehe Sie am Einsatzort waren.
Guthier: Wir versuchten uns ein wenig auszuruhen, und meine erste Erkundung ging Richtung des Camps, wo die Such- und Rettungsteams ihr Lager aufgeschlagen hatten. Ich kam an einem Seiteneingang des Flughafens vorbei, wo gerade in die Luft geschossen und Tränengas eingesetzt wurde, um die Menschenmenge vor dem Betreten des Flughafen zu hindern. Das gab mir zu denken.
Hatten Sie Angst?
Guthier: Nach einigen Tagen stellt man fest, dass die Sicherheitslage bei weitem nicht so dramatisch ist wie berichtet wurde. Es gibt Sicherheitspläne, die zeigen, welche Gebiete man meiden sollte. Die Bevölkerung ist jedoch weder aufdringlich noch aggressiv, was aufgrund der Lage erstaunt.
Welche Arbeit leisten Sie?
Guthier: Wir wurden zu einem Gelände der UN in Port au Prince gebracht, die von nepalesischen Truppen bewohnt wird. Auf diesem Gelände begannen wir das Camp zu errichten. Es gab Probleme, das Material zusammenzutragen.
Wie sind Ihre Arbeits- und Lebensumstände?
Guthier: Gegessen wurden Fertigmahlzeiten der Armee, geschlafen auf dem Feldbett und duschen war die ersten Tage mangels Wasser nicht möglich. Nach Aufbau des Camps wurde ich an die Deutsche Botschaft verlegt, um den Transport, den Aufbau und den Betrieb von zwei weiteren Trinkwasseraufbereitungsanlagen und einem Camp für deutsche Hilfsorganisationen durchzuführen. In der restlichen Zeit unterstütze ich die THW-Kollegen bei der Koordination der deutschen Hilfskräfte im Auftrag der Botschaft.
Läuft alles nach Plan?
Guthier: Zurzeit läuft die Planung und Durchführung des Transports von 75 Tonnen Material für dieses Camp und die Aufbereitungsanlagen. Diese Lieferung beinhaltet aber auch Güter für andere deutsche Hilfsorganisationen.
Kommen Sie direkt in zerstörte Gebiete?
Guthier: Zum Beispiel als ich den Aufbauplatz in Leogane erkundete. Die Stadt ist zu über 90 Prozent zerstört. Die Bevölkerung lebt unter schwierigen Bedingungen in Lager zwischen den Ruinen. Wasser, Nahrung und medizinische Hilfe wird dringend benötigt, wobei sehr viele Organisationen und Militär die Lage langsam entspannen können. Ich selbst werde nun in Leogane bei den Aufbauarbeiten mit anpacken.
Wie gestaltet sich Ihr Tag?
Guthier: Wir schlafen wegen Nachbeben im Freien. Bei Sonnenaufgang geht es los. Wasser ist kostbar, also gibt’s nur Katzenwäsche. Die Arbeit wird zurzeit in einem Nebengebäude erledigt, und je nachdem was zu tun ist, geht es mit Fahrer zur Erkundung oder zu Einsatzgesprächen. Kochen und Wäsche waschen muss zwischendurch erledigt werden. Abends wird es meistens spät. Es müssen Berichte geschrieben werden.
Wie steht es mit Ruhephasen und woher schöpfen sie die Kraft für Ihren Einsatz?
Guthier: Man muss natürlich mit ein paar Stunden Schlaf auskommen, aber ich kann zwischendurch schon mal durchatmen. Die Kraft holt man sich durch die Tatsache, anderen Menschen helfen zu können.
Stimmt es, dass es schwierig ist, die Hilfe bei den Menschen ankommen zu lassen?
Guthier: Ja, eine Katastrophe dieses Ausmaßes zu beherrschen, ist schwierig. Unzählige kleinere Hilfsorganisationen, aber auch große wie die UN oder die EU, tun ihr bestes, aber die Koordination ist immens schwierig. Die Infrastruktur ist zerstört, das Land war schon vor dem Erdbeben eines der Ärmsten und die Dimensionen sind unvorstellbar.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Guthier: Einmal fuhr ich stundenlang an zerstörten Häusern und Zeltstädten vorbei. Wieviele kleine Ortschaften und Städte es gibt, wo noch niemand war, lässt sich nur erahnen. In den größeren Städten beginnt aber das tägliche Leben langsam wieder.
Ist es heiß auf Haiti?
Guthier: Die Temperatur liegt zwischen 30 und 35 Grad. Aber die Luftfeuchtigkeit ist erträglich. Nur in der Stadt, oder was von ihr übrig ist, kann es unangenehm werden. Nachts kühlt es angenehm ab. Überall herrscht reges Treiben. Der Fahrzeugverkehr ist auch aufgrund der teilweise zerstörten Straßen chaotisch. Die Menschen sind gezeichnet, aber sie nehmen ihr Schicksal in die Hand und beginnen sich zu organisieren. Strom gibt es eher selten. Stechmücken haben Hauptsaison. Man trägt immer abwechselnd Sonnencreme und Mückenschutz auf.
Haben Sie Nachbeben erlebt?
Guthier: Von den Nachbeben erfuhr ich erst über das interne Überwachungssystem der THW-Leitung in Bonn. Die überwacht jeden meiner Schritte und informiert auch täglich meine Frau, wie es bei mir aussieht. Bei einem Trinkwasserverbrauch von vier bis fünf Litern am Tag kann ich langsam aber sicher kein stilles Wasser ohne Geschmack mehr sehen.
Wie ist Ihre Verbindung nach Hause?
Guthier: Ich habe Satellitentelefon und EDV. Wenn Zeit ist, geht schon mal neben den täglichen Lagemeldungen eine E-Mail nach Hause zu den Lieben. Teilweise geht auch das Handy, zumindest für SMS.
Mussten Sie sich bei ähnlichen Kriseneinsätzen bewähren?
Guthier: Ein Einsatz dieser Art ist mir noch nicht untergekommen und er ist auch mit anderen nicht zu vergleichen. Ich denke oft auch an die Kameraden der Feuerwehr und des Rettungsdienstes zuhause. Es ist ein gutes Gefühl, dass es sie gibt.
Quelle Weinheimer Nachrichten
