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Déjà vu für Bernd Guthier

17. März 2011 | Von
Bernd Guthier Mitglied des Blaulichtstammtisch der Weinheimer Hilfsorganisationen

Bernd Guthier Mitglied des Blaulichtstammtisch der Weinheimer HilfsorganisationenKatastrophe: Der Weinheimer Bernd Guthier arbeitet als THW-Helfer in Tokio / „Das Land ist schwer getroffen“ / Ein Experten-Netzwerk sondiert ständig die nukleare Lage. Der Weinheimer Bernd Guthier (Bild – hier bei seinem Einsatz in Haiti im vergangenen Jahr) ist zurzeit als THW-Helfer in Japan. Dort berät er die Deutsche Botschaft. Es ist gut ein Jahr her, als der Weinheimer Bernd Guthier in dem von einem Erdbeben zerstörten Haiti war. Seine Aufgabe war es seinerzeit, den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei Fragen der Katastrophenhilfe zu beraten. Gleiches ist aktuell der Fall in Japan, denn die Deutsche Botschaft des betroffenen Landes hat bei Katastrophen die Aufgabe, sich um die dortigen Bundesbürger zu kümmern. Als Fachberater des THW koordinierte Guthier in Haiti auch die Hilfe, die das Technische Hilfswerk für die einheimische Bevölkerung leistete. Insofern wiederholt sich für ihn die Geschichte. Der Weinheimer Bernd Guthier ist seit 1987 Helfer beim THW in Heidelberg. Er absolvierte eine Zusatzausbildung zum Bergungshelfer und wurde Zugführer des THW. Im Jahr 2000 wurde er Mitglied der Fachgruppe Führung und Kommunikation des THW-Heidelberg. Im Jahr 2006 erwarb er sich bei einer EU-Zivilschutz-Zusatzausbildung im Bereich Medien und Security die Qualifikation für internationale Hilfseinsätze.

„Die Japaner schaffen das“

Es geht rasend schnell. Freitagnachmittag wird der Alarm ausgelöst, Freitagabend sitzt Bernd Guthier im Flugzeug, Samstagmorgen (Ortszeit) landet er in Tokio. Der Weinheimer ist einer der vielen Helfer des Technischen Hilfswerks, die in Japan versuchen zu retten, was zu retten ist. Guthiers Job ist es, die Deutsche Botschaft in Tokio zu beraten, einsatztaktische Fragen zu klären und unter anderem die sichere Rückreise zu organisieren. Ein Mitglied seiner Gruppe ist gleich nach der Ankunft zu einem Team der so genannten Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland gestoßen, die sich in den Norden des Landes aufmachte. „Der Einsatz dort ist mittlerweile beendet“, berichtet Guthier gestern Morgen telefonisch aus Tokio. Der Grund: es greift die 72-Stunden-Regel. So lange kann man Menschen beispielsweise nach einem Erdbeben lebend bergen, „danach ist es nur noch Zufall. Die Helfer aber waren mehr als 100 Stunden dort.

Nüchterne Einschätzung

 

Einsatzbesprechung Bild: Einsatzbesprechung: Ein Bergungsteam des Technischen Hilfswerks (THW), unter anderem zusammengesetzt aus Mitgliedern des THW Viernheim, traf am Montag im Norden Japans ein. Mittlerweile wurde die Suche nach Vermissten abgebrochen, da es keine Hoffnung auf Überlebende gibt.

Der Weinheimer hat schon einiges gesehen, erst im vergangenen Jahr war er in Haiti im Einsatz, baute dort unter anderem eine gesicherte Wasserversorgung auf. Japan aber ist in vielerlei Hinsicht anders: Ein Erdbeben der Stärke 9,0, die nukleare Katastrophe und ein Tsunami, „der mit einer solchen Gewalt aufs Land trifft, dass er nur noch eine ebene Fläche hinterlässt. Die Helfer haben dort mit Hunden gesucht, aber da war nichts mehr zu machen“, sagt er ganz nüchtern. Das Erdbeben selbst mache den Menschen nicht so sehr zu schaffen, denn „die Japaner leben die Erdbeben, sie sind es gewohnt.“ So kommt er auch zu der Einschätzung, dass die Lage „sehr dramatisch ist“, das Leben aber relativ strukturiert weiterläuft. Doch eins sei klar: „Das Land ist schwer getroffen, und das zeigt sich nicht nur an den Aktienkursen.“ Zurzeit arbeitet Guthier zusammen mit seinen Kollegen in der Deutschen Botschaft in Tokio, ist unter anderem involviert in die Organisation der Rückführung deutscher Staatsbürger, die zumeist von ihren Firmen abberufen werden. Gerade erst wurden 74 Personen in Botschaften und Hotels gebracht, unter ihnen auch Bürger aus anderen Nationen. „Die Botschaften arbeiten sehr eng miteinander“, erzählt Guthier, der einer Situation wie in Japan auch etwas Gutes abgewinnen kann: „Das Schöne an Katastrophen ist, dass die Leute dann enger zusammenrücken.“

Sein Einsatz ist zunächst bis kommenden Samstag befristet. Zwei bis drei Stunden Schlaf pro Nacht müssen ihm reichen, danach geht es weiter. „Wir haben hier viel zu tun. Aber sobald wir merken, dass es für uns gefährlich ist, sind wir weg.“ Doch das Land zu verlassen ist derzeit nicht ganz so einfach, da nach der Beobachtung des THW-Helfers am Flughafen Chaos herrscht, zumal ein Tokioter Flughafen geschlossen ist. Auch an den Bahnhöfen herrscht Hektik, wie verschiedene Medien gestern berichteten. Spätestens seit bekannt wurde, dass der Wind eine radioaktive Wolke in Richtung Tokio vor sich hertreibt, versuchen viele aus der Hauptstadt zu fliehen. So warteten beispielsweise am Bahnhof Shinagawa Menschen dicht gedrängt auf den Bahnsteigen in der Hoffnung, die Millionenmetropole in Richtung Süden verlassen zu können. Die Besonnenheit weicht vielerorts der Angst.

 

Guthier selbst bleibt ruhig, verbreitet in dem Telefongespräch eine für den Außenstehenden zunächst schwer verständliche Ruhe. Er muss sich auf das verlassen, was ihm die Experten berichten, seine Einschätzung der Lage entspricht der Einschätzung von Fachleuten, die weltweit vernetzt sind. Dazu gehören Informationen des Auswärtigen Amts, des deutschen Krisenstabs für die nukleare Lage und die Meinungen vieler Fachberater. „Natürlich ist da ein Problem“, sagt er, „aber es ist nicht so dramatisch wie häufig berichtet wird“, stellt er manchen Medien vor Ort ein weniger gutes Zeugnis aus. Oft werde nur der erste Teil eines Satzes wiedergegeben, „nach dem Komma wird oft nicht mehr zugehört.“

 

THW im Einsatz

Bild: Jede Menge Ausrüstung musste transportiert werden; per Lkw zunächst an den Flughafen, von dort direkt nach Japan. Dass Tokio Angst vor der Strahlung hat, viele Supermärkte leer gekauft sind, kann er bestätigen. Doch die Hoffnung stirbt bei ihm offensichtlich zuletzt. Abgesehen von den durch Tsunami und Erbeben zerstörten Gegenden und dem Sperrgebiet rund um die Fukushima-Meiler berichtet Guthier von einem mehr oder weniger geordneten Leben in Tokio. Obwohl der Sprit rationiert, wegen der zerstörten und gesperrte Autobahnen nicht mehr so viel Verkehr wie vorher ist, gehe das Leben für viele der Einwohner weiter. „Zu keiner Zeit ist Panik entstanden, auch bei den heftigen Nachbeben. Die Leute arbeiten sehr strukturiert, das Nuklearthema wird meiner Meinung nach professionell angegangen, die Menschen blicken gewissermaßen schon wieder in die Zukunft“, erzählt der THW-Helfer. Teilweise sind schon Bagger im Einsatz, um die Infrastruktur wieder herzustellen. „Die haben das im Griff. Die Japaner schaffen das“, ist er sich sicher. Obwohl eine Ende der Hiobsbotschaften noch nicht absehbar ist, immer höhere Strahlenwerte gemessen werden und die Kritik an der Informationspolitik der Regierung wächst.

Standby für Libyen

 

Das THW checkt einDass Guthier in diesem Jahr wieder international Hilfe leisten wird, war übrigens relativ sicher. Denn in Deutschland stand er als Standby bereit für einen Einsatz in Libyen. Gerne wäre er als Helfer nach Bengasi geflogen, zumal er dort beruflich tätig war und in der Stadt Freunde hat. Aufgrund seiner Ausbildung wurde er schließlich in das Einsatzteam für Japan berufen. Und dort hat er nicht nur gesehen, was Naturgewalten anrichten können. Denn Guthier hat auch ein Nachbeben erlebt und schnell eingesehen, dass der Mensch nur ein Staubkorn im Universum ist. „Sein“ Beben hatte eine Stärke von 6,0. „Das wackelt dann ganz schön. Da überlegt man sich, ob man das selbst ist, oder ob sich die Erde dreht.“ Das verheerende Beben von vergangener Woche hatte eine Stärke von 9,0. Das Bild zeigt: Einchecken für den Einsatz: Innerhalb kürzester Zeit mussten die Helfer ausrücken, binnen 24 Stunden erreichten sie Japan. Die Fahrt in die Einsatzgebiete dauerte jedoch länger.

 

Quelle Weinheimer Nachrichten vom 16.03.2011 – Bilder: THW (4) / WN-Archiv Artikel von Sandro Furlan