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Bundesweiter Warntag

9. September 2020 | Von

Um Punkt elf Uhr werden Sirenen heulen, Warn-Apps auslösen und Radiosender ihr Programm unterbrechen. Wie ist Weinheim für den Katastrophenfall gerüstet? Sven Lillig, Leiter der Stabstelle Feuerwehr und Katastrophenschutz, gibt Auskunft.

Weinheim. Dass in Deutschland der Katastrophenfall ausgerufen wird, passiert in aller Regel nicht oft. Hochwasser, Schneefälle oder Stromausfälle können dazu führen. Zuletzt entschloss sich Bayern wegen der Corona-Krise zu diesem Schritt. Doch ab wann gilt ein Ereignis eigentlich als Katastrophe? Und wie wird die Bevölkerung davor gewarnt?

Sven Lillig, Leiter der Weinheimer Stabsstelle Feuerwehr und Katastrophenschutz, hat im Gespräch mit der Redaktion erklärt, welche Katastrophen vor Ort denkbar sind und was im Fall der Fälle passiert.

Was ist der schlimmste Fall, der in Weinheim eintreten könnte?

Eines der gravierendsten Szenarien, die Sven Lillig sich vorstellen kann, ist ein Flugzeugabsturz mit vielen Verletzten. Er hält ein solches Ereignis zwar für unwahrscheinlich, doch auszuschließen sei es nicht – immerhin liegt Weinheim unter anderem in der Nähe des Frankfurter Flughafens. Auch mit einem schweren Zugunglück – etwa dem Zusammenprall zweier voll besetzter ICE – müsse man rechnen. Ein großflächiger Stromausfall über einen längeren Zeitraum würde die Einsatzkräfte ebenfalls vor große Herausforderungen stellen.

Welche anderen Katastrophen sind denkbar?

Naturkatastrophen wie Hochwasser, Tornados und andere Unwetter können dazu führen, dass der Katastrophenfall ausgerufen wird. Zunehmend spielen auch Hitze und Trockenheit eine Rolle, denn auch sie können die Versorgungssicherheit gefährden. Bei einem Brand oder einem anderen Unfall in Industrieanlagen können Gefahrenstoffe austreten. Cyber-Angriffe seien bislang weniger ein Thema, sagt Lillig, auch sie können aber die Grundversorgung gefährden, wenn Infrastruktur wie etwa das Stromnetz beschädigt wird. Gleiches gelte für andere terroristische Angriffe.

Ab wann ist ein Ereignis eine Katastrophe?

Umgangssprachlich bezeichnet man ein besonders schlimmes Ereignis als Katastrophe. Das Landeskatastrophenschutzgesetz legt fest, welche Ereignisse offiziell als Katastrophe gelten. Nur dann kann Katastrophenalarm ausgerufen werden.

Gemäß dem Gesetz sind hierfür zwei Aspekte wichtig: Erstens besteht eine ungewöhnlich große Gefahr für das Leben oder die Gesundheit zahlreicher Menschen beziehungsweise Tiere, für die Umwelt, erhebliche Sachwerte oder lebensnotwendige Versorgungsstrukturen. Zweitens erfordert diese Gefahrenlage, dass die beteiligten Stellen – also zum Beispiel die zuständigen Behörden und die Einsatzkräfte vor Ort – unter einer gemeinsamen Leitung zusammenarbeiten. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die örtlichen Einsatzkräfte die Gefahrenlage mit ihren eigenen Ressourcen nicht in den Griff bekommen oder das Ereignis alle Kräfte bindet und sich daher niemand um andere Notfälle kümmern kann, die möglicherweise gleichzeitig auftreten.

Nicht immer muss bei einem Katastrophenfall also eine gravierende Gefahr für die ganze Bevölkerung bestehen. Auch Tierseuchen können zum Beispiel dazu führen, dass ein Katastrophenalarm ausgelöst wird.

Wer kann den Katastrophenfall ausrufen?

Diese Kompetenz liegt beim Landrat. Er kann den Katastrophenfall nicht für eine einzelne Kommune, also zum Beispiel für Weinheim, sondern immer nur für den ganzen Kreis ausrufen – eine Ausnahme bilden kreisfreie Städte. Für den Katastrophenschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken ist das Regierungspräsidium zuständig, für Gefahren, die sich über einen Regierungsbezirk hinaus erstrecken, das Innenministerium des jeweiligen Landes. Im Kriegsfall oder etwa bei einem Super-GAU, wenn also mehrere Bundesländer betroffen sind, wird der Bund tätig.

Wie oft wurde dieser Fall im Rhein-Neckar-Kreis ausgerufen?

Seit Gründung des Rhein-Neckar-Kreises im Jahr 1973 wurde der Katastrophenfall noch nie ausgerufen.

Was passiert bei einer Katastrophe?

Der Landkreis bildet einen Krisenstab unter der Leitung des politischen Gesamtverantwortlichen. Das kann der Landrat oder der Oberbürgermeister sein. Außerdem gehört dem Krisenstab eine technische Einsatzleitung an (zum Beispiel der Kreisbrandschutzmeister) sowie ein Leitungsstab aus der Verwaltung. In diesem Krisenstab laufen während des Katastrophenfalls alle Informationen zusammen. Er legt fest, in welcher Reihenfolge die einzelnen Ereignisse angegangen werden und wer zuständig ist. Gegebenenfalls fordert er weitere Einsatzkräfte aus anderen Kommunen oder Landkreisen an und fragt ab, wie viele Plätze es in den umliegenden Krankenhäusern gibt. Das entlastet die Einsatzkräfte vor Ort.

„Es wird jedem geholfen“, versichert Lillig. Notfälle, die nicht ganz so akut sind – ein vollgelaufener Keller zum Beispiel –, würden aber womöglich nicht so schnell abgearbeitet wie sonst.

Welche rechtlichen Folgen hat der Katastrophenfall?

In Baden-Württemberg stehen 581 Fahrzeuge bereit, mit denen der Bund den Katastrophenschutz unterstützt. Deutschlandweit sind es rund 5400. Sie sind auf die Kommunen verteilt und können im Katastrophenfall in das betroffene Gebiet abgezogen werden. In Weinheim befindet sich ein solches Fahrzeug, das Löschgruppenfahrzeug Katastrophenschutz, in Sulzbach.

Außerdem kann die Bevölkerung zur Mithilfe verpflichtet werden – zum Beispiel zum Befüllen von Sandsäcken. Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeiter dann freistellen. Die Verwaltung kann einfacher Anschaffungen tätigen, muss zum Beispiel nicht das wirtschaftlichste Angebot nehmen. Außerdem kann sie Material von Privatpersonen oder Unternehmen beanspruchen. „Man muss trotzdem immer verhältnismäßig handeln“, betont Lillig. Anders als bei der alltäglichen Gefahrenabwehr übernimmt im Katastrophenfall der Landkreis die Kosten.

Wann ist eine Katastrophe vorbei?

Die Dauer des Katastrophenfalls ist erst einmal nicht beschränkt. Er gilt so lange, bis er vom Landratsamt wieder zurückgenommen wird. Das ist der Fall, sobald die örtlichen Kapazitäten wieder ausreichen, um das Gesamtszenario mit den einzelnen Gefahrenlagen zu bewältigen. Die Einsatzleitung geht dann wieder zurück an die Kräfte vor Ort.

Wie ist Weinheim auf einen solchen Fall vorbereitet?

Lillig sagt: „Wir sind sehr gut vorbereitet.“ Der Krisenstab könne seine Arbeit bei Bedarf schnell aufnehmen. Jede Kommune hat einen eigenen Katastropheneinsatzplan. Dieser sei im Zuge der Corona-Krise erst kürzlich aktualisiert worden.

Was steht im Katastropheneinsatzplan?

„Aus dem Katastropheneinsatzplan geht hervor, womit wir im schlimmsten Fall rechnen müssen“, erklärt Lillig. Außerdem hält er fest, wer im Notfall für welchen Bereich verantwortlich ist, welche Ansprechpartner und Materialien es gibt und wo man weitere Materialien wie etwa Sand oder Holz besorgen kann. Je nach Katastrophenfall enthält der Plan mehr oder weniger detaillierte Anweisungen. Für den Fall eines atomaren Unglücks ist zum Beispiel festgelegt, in welchen Sporthallen eine Dekontamination stattfinden kann. „Jedes Szenario ist anders“, sagt Lillig. Man könne nicht alles bis ins Detail durchplanen. „Aber die Grundstrukturen stehen.“

Welche Pläne wurden im Zuge der Corona-Krise erstellt?

Der Plan regelt, was passieren würde, sollten Krankenhäuser an ihre Grenzen stoßen oder die Versorgung mit Lebensmitteln gefährdet sein. So werden etwa mögliche Standorte für Notlazarette genannt, wie etwa die Stadthalle. Außerdem listet der Plan verfügbare Materialien auf und gibt an, wo zusätzliches Material beschafft werden könnte. Was in einem Katastrophenfall konkret passieren würde, müsste allerdings der Krisenstab entscheiden – je nach Anforderungen des Gesundheitsamts.

Wie erfährt die Bevölkerung von einer Katastrophe?

Mittlerweile steht eine Vielzahl an Warnmitteln zur Verfügung. Neben Radio und Fernsehen werden Warn-Apps wie Katwarn und Nina immer wichtiger. Im Rhein-Neckar-Kreis haben sich beispielsweise 57 000 Nutzer für Katwarn registriert. Nach wie vor wird in bestimmten Fällen aber auch mit Sirenen oder mit Lautsprecherwagen gewarnt. Auch die Anzeigetafeln an Bahnhöfen, in Zügen, Straßenbahnen und Bussen könnten genutzt werden, um die Bevölkerung über den Katastrophenfall zu informieren. Diese Warnmittel kommen übrigens nicht nur im Katastrophenfall zum Einsatz, sondern auch bei anderen Gefahrenlagen – zum Beispiel bei einem lokal begrenzten Stromausfall.

Wer kann die Warnmittel auslösen?

Die Integrierte Leitstelle (ILS) des Rhein-Neckar-Kreises, die als Anlaufstelle für alle Notrufe aus dem Rhein-Neckar-Kreis und Heidelberg dient, ist an das Modulare Warnsystem (MoWaS) angeschlossen. Über dieses System kann die ILS zum Beispiel Warnungen an die App-Betreiber herausgeben, aber auch Sirenen auslösen.

Was wird am bundesweiten Warntag passieren?

Am morgigen Donnerstag um 11 Uhr wird eine Probewarnung an alle Warnmittel geschickt, zum Beispiel an Rundfunksender und App-Server. So soll die Bevölkerung sensibilisiert und es soll getestet werden, ob die Warnsysteme funktionieren. In Weinheim führt die Feuerwehr einen Sirenentest durch. Der bundesweite Warntag soll von nun an jedes Jahr am zweiten Donnerstag im September stattfinden.

Quelle: Weinheimer Nachrichten vom 09.09.2020, Theresa Horbach