Für den Kameraden durchs Feuer gehen
2. Januar 2006 | Von Feuerwehr WeinheimInterview der Weinheimer Nachrichten zum Jahreswechsel mit Stadtbrandmeister Reinhold Albrecht: Weinheim. (dra) Im Alter von 13 Jahren ging Reinhold Albrecht in die Jugendfeuerwehr. Zwischen 1990 und Interview der Weinheimer Nachrichten zum Jahreswechsel mit Stadtbrandmeister Reinhold Albrecht: Weinheim. (dra) Im Alter von 13 Jahren ging Reinhold Albrecht in die Jugendfeuerwehr. Zwischen 1990 und 1995 war er unter Hermann Franzmann stellvertretender Stadtbrandmeister, und er trat nach Franzmanns überraschendem Tod 1998 dessen Nachfolge an. Der 47-jährige Stadtkommandant hat 336 Aktive unter sich und ein besonderes Jahr hinter sich. Im Gespräch mit den Weinheimer Nachrichten blickt Weinheims oberster Feuerwehrmann nicht nur auf den Bau der neuen Feuerwache zurück, sondern er verrät auch vieles, was den Brandschützer bei einem Einsatz bewegt. Wer Sie zu einer Silvesterparty einlädt, der muss immer damit rechnen, dass Sie in der nächsten Sekunde verschwunden sind. Wie lebt es sich mit dem Gefühl, immer abrufbereit zu sein? REINHOLD ALBRECHT: Also wenn ich zu unserem Silvestergottesdienst in die Stadtkirche komme, dann schaut mich Pfarrer Däublin schon skeptisch an, ob ich denn wieder Dienst habe? Ich bin schonmal aus dem Gottesdienst gerufen worden. Aber damit lernt man zu leben. Weinheimer Nachrichten:Müssen Sie ununterbrochen einsatzbereit sein? ALBRECHT: Ganz so krass ist es nicht. Auch Wolfgang Eberle und Rolf Tilger sind Einsatzleiter vom Dienst. Wir teilen uns die Bereitschaften. Weinheimer Nachrichten: Was spielt sich eigentlich in Ihrem Kopf ab, wenn Sie im Einsatz auf ein brennendes Haus zufahren? ALBRECHT: Wir haben natürlich unser Ausbildungsschema, an das man sich hält für seine Entscheidungen. Außerdem ist es ein Unterschied, ob man auf ein Einfamilienhaus oder auf ein Hochhaus zufährt. Weinheimer Nachrichten: Kann man in einem solchen Fall ganz cool bleiben? ALBRECHT: Wenn jemand sagt, ein Einsatz mache ihm nichts aus, der lügt. Natürlich erhöht sich der Puls, sobald der Meldeempfänger anspringt. Das ist sogar wissenschaftlich erwiesen. Weinheimer Nachrichten: Wer hat das ermittelt? ALBRECHT: Es gibt eine so genannte Statt-Studie. Sie wurde vom Klinikum Mannheim und von der Feuerwehrschule Bruchsal erstellt. Dabei kam nicht nur heraus, dass die Herzfrequenz bei Einsätzen höher ist. Es wurde deutlich, dass Feuerwehrleute auf sportliche Betätigung achten sollten, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Weinheimer Nachrichten: Haben Sie darauf auch in Weinheim reagiert? ALBRECHT: Nun, ich kann keinen Feuerwehrkameraden an den Haaren zum Sport ziehen, aber wir haben als Folge dieser Studie eine Sportleiterin engagiert, die uns Donnerstags in der Sporthalle der Friedrichschule ein Trainingsangebot unterbreitet. Ich muss allerdings sagen, dass es insbesondere etwas schwergewichtigeren Kameraden gut tun würde, öfter mal mitzumachen. Weinheimer Nachrichten: Also fehlt es noch an der sportlichen Einstellung der Feuerwehr. ALBRECHT: Nein, das kann man generell nicht sagen. Auch von den Wehren in Ober-Flockenbach oder Sulzbach weiß ich, dass sie ein sportliches Programm verfolgen, und schließlich waren wir mit 30 Kameraden beim ersten Feuerwehr-Triathlon in diesem Jahr vertreten. Weinheimer Nachrichten: Sie sind Familienvater. Wie gehen denn Frau und Kinder mit der Tatsache um, dass Sie im Falle eines Falles Kopf und Kragen riskieren müssen? ALBRECHT: Natürlich spielt die Angst immer mit. Ich finde es deshalb gut, dass wir nach den Einsätzen auch in der Familie darüber reden. Weinheimer Nachrichten: Hatten Sie mal einen besonders schlimmen Einsatz? ALBRECHT: Schlimm ist es insbesondere dann, wenn Kinder betroffen sind. Aber so etwas ist glücklicherweise schon länger her. Weinheimer Nachrichten:Sind ihre Einsätze durch das Material sicherer geworden? ALBRECHT: Auf jeden Fall. Seit 1990 gibt es eine europäische Zertifizierung der Feuerwehreinsatzkleidung. Davor hatten wir noch unterschiedliche alte Einsatzkleidung eingesetzt. Seit 1990 aber haben wir uns einheitlich eingedeckt und damit auch die Sicherheit für den einzelnen Feuerwehrmann erhöht. Weinheimer Nachrichten: Was zeichnet eigentlich den guten Feuerwehrmann aus. Geht es nur um die Schnelligkeit? ALBRECHT: Unser Leitsatz ist Sicherheit vor Schnelligkeit. Wir halten zwar die Hilfsfristen ein und sind spätestens zehn Minuten nach der Alarmierung am Einsatzort, aber ein guter Feuerwehrmann zeichnet sich auch durch Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit aus. Und er muss für den anderen durchs Feuer gehen können. Weinheimer Nachrichten: Wie ist das denn genau gemeint? ALBRECHT: Bei einem Einsatz gehen wir immer zu Zweit, nie alleine. Wenn man dann den Atemschutz anlegt und ins brennende Haus geht, vor allem um Menschen zu retten, dann muss sich der eine auf den anderen bedingungslos verlassen können. Weinheimer Nachrichten: Sozusagen wie ein Bergsteiger auf den anderen. ALBRECHT: Das ist ein guter Vergleich. Weinheimer Nachrichten: Sind sie Bergsteiger? ALBRECHT: Nein. Weinheimer Nachrichten: Aber sie haben irgendwann gewusst, dass die Feuerwehr Ihr Ding ist. Wann war das? ALBRECHT: Man muss wissen, dass ich sozusagen in einer Feuerwehrfamilie groß geworden bin. Mein Vater war bei der Wehr, mein Patenonkel Karl Kreis war bis 1971 sogar Weinheimer Kommandant. Da bin ich mit 13 Jahren ganz selbstverständlich auch hin. Weinheimer Nachrichten: Dann haben Sie als Kind ja auch Angst haben müssen, wenn der Vater zum Einsatz gesprungen ist. ALBRECHT: Ja, das habe ich schon erlebt. Damals sprang ja noch die Sirene jedesmal an und die Alarmierungsschleife innerhalb der Wehr ging laut vonstatten. Da schepperte die Glocke im ganzen Haus. Mit den leisen Funkmeldeempfängern ist das heutzutage glücklicherweise anders. Weinheimer Nachrichten: Stellen Sie im Alltag bei anderen Menschen einen achtlosen Umgang mit Feuer fest? ALBRECHT: Natürlich sind wir Feuerwehrleute übervorsichtig, was die Brandvorbeugung anbelangt. Wenn ich zum Beispiel mit der Familie im Urlaub bin, inspiziere ich insbesondere in südlichen Ländern den Rettungsweg im Hotel ganz genau. Da schau ich immer hin. Weinheimer Nachrichten: Schade eigentlich, dass nicht mehr Menschen dafür sensibilisiert sind. ALBRECHT: Es könnte manches verhindert werden. Schauen Sie beispielsweise diese Woche bei dem Brand in der Mierendorffstraße. Hätte es einen Rauchmelder gegeben, wäre man sicher früher aufmerksam geworden. Besonders in Kinderzimmern und Wohnzimmern halte ich einen Rauchmelder für Pflicht, eigentlich überall in der Wohnung. Weinheimer Nachrichten: Das Ehrenamt ist nicht gerade beliebt. Wie sieht es bei der Feuerwehr aus? Kommen vor allem noch genug junge Leute? ALBRECHT: Da können wir uns glücklicherweise gar nicht beklagen. Es gibt keine Nachwuchssorgen. Die Feuerwehr, insbesondere die Technik, hat auf die Jugendlichen immer noch große Anziehungskraft. Weinheimer Nachrichten: Ist es schwer, sie dann bei der Stange zu halten? ALBRECHT: Die Übernahmequote liegt bei 99 Prozent. Weinheimer Nachrichten: Das heißt, wer sich einmal für die Feuerwehr entschieden hat, der bleibt auch dabei. ALBRECHT: So ist es. Wenn jemand studiert, kommt es sogar vor, dass er an seinem Studienort der Feuerwehr beitritt. Der Dienst am Nächsten ist nicht vom Ort abhängig und er zieht sich übrigens durch alle Gesellschaftsschichten. Weinheimer Nachrichten: Wie meinen Sie das? ALBRECHT: Wir haben den normalen Arbeiter und den Arzt in unseren Reihen. Dass wir 336 Aktive in allen Weinheimer Wehren haben, darauf sind wir stolz. Weinheimer Nachrichten: Und Sie haben seit diesem Jahr eine funkelnagelneue Feuerwache. Was hat die denn für die Feuerwehr bewirkt? ALBRECHT: Also da muss ich mal was vorausschicken: Sowas wie dieses Jahr möchte ich eigentlich nicht mehr erleben. Das war Stress pur. All die vielen Besprechungen und Entscheidungen, die mit der Feuerwache zu treffen waren. Da ist die Familie eindeutig zu kurz gekommen. Weinheimer Nachrichten: Aber alle freuen sich über das Ergebnis. ALBRECHT: Auf jeden Fall. Die Kameraden konnten es zum Schluss kaum abwarten, endlich in die neue Feuerwache umzuziehen. Dann aber war bei einigen auch Wehmut zu spüren, insbesondere bei denjenigen, die nach teilweise 50 Jahren in der Grundelbachstraße die Tür für immer hinter sich zuschlossen. Aber die Freude hat insgesamt überwogen. Weinheimer Nachrichten: Was bringt die neue Wache konkret an Verbesserungen? ALBRECHT: Vor allem räumlich ist es ein Genuss. Zum Beispiel die große Drehleiter. Die hatte in der alten Wache nur drei Zentimeter Spiel bis zur Decke. Da war man immer bei einem Einsatz nahe dran, sie zu ramponieren. Jetzt ist das Rangieren der Fahrzeuge viel unkomplizierter. Weinheimer Nachrichten: Lassen Sie es zu Silvester krachen? ALBRECHT: Ich werde bei den 30 Feuerwehrleuten im Feuerwehrhaus vorbeischauen, die für ihre Mitbürger im Falle eines Falles bereit sind. Außerdem ist der Silvestergottesdienstbesuch in der Stadtkirche für mich Tradition.